PresseKat - Erben prägt (doch nicht)

Erben prägt (doch nicht)

ID: 1320911

Von Generation zu Generation: Wie Besitzübergabe eine Gesellschaft prägt – oder nicht

(firmenpresse) - Haus und Hof ungeteilt an den Erstgeborenen weitergeben oder zwischen allen Kindern aufteilen? Erbgewohnheiten haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung einer ländlichen Gesellschaft gehabt. Dass dieser jedoch nicht so stark wie bisher angenommen war, belegen die mit Hilfe des Wissenschaftsfonds FWF nun in Buchform veröffentlichten Ergebnisse eines sozialwissenschaftlichen Projekts.

Anerbenrecht oder Realteilung – so lauten die beiden Fachbegriffe für zwei in der frühen Neuzeit üblichen Formen des Besitztransfers zwischen den Generationen. Wurde beim Anerbenrecht der ungeteilte Besitz an einen einzigen Nachkommen vererbt, so erfolgte bei der Realteilung eine Aufteilung unter den verschwisterten Nachkommen. Gravierende Einflüsse auf Heiratsverhalten, Bevölkerungswachstum und die gesellschaftliche Entwicklung galten bisher als logische Konsequenz der jeweiligen Erbgewohnheit –, doch wurden die Einflüsse nie wirklich empirisch untersucht. Hermann Zeitlhofer von der Universität Wien füllte diese Lücke anhand einer exemplarischen Studie für eine ländliche Region im südlichen Böhmerwald, deren Ergebnisse nun als Buch unter dem Titel "Besitzwechsel und sozialer Wandel" im Böhlau Verlag erschienen sind.

Besitzergreifend
Tatsächlich wurde in der Fachliteratur bisher zwar nur angenommen, dass Erbgewohnheiten eine prägende gesellschaftliche Wirkung hätten, dennoch reichten die darauf aufbauenden Behauptungen weit: so sollte eine ungeteilte Weitergabe des Besitzes zu mehr Abwanderung und zu einer stark polarisierten Gesellschaft geführt haben. Einigen wenigen Erben großer Besitztümer stünde unter diesen Bedingungen eine Heerschar an mittellosen Personen gegenüber, die beim Erbe leer ausgegangen waren. Die Realteilung hingegen hätte durch einen einheitlichen Kleinbesitz der Massen mehr Familiengründungen und so ein starkes Bevölkerungswachstum erlaubt. Für Zeitlhofer sind dies Schlüsse, die auf nicht belegten Vorannahmen in der Fachliteratur beruhen. "Wie sich anhand der von mir untersuchten Pfarre im südlichen Böhmerwald zeigt, greifen diese Schlussfolgerungen zu kurz. Nicht der Besitztransfer per se hatte diese Auswirkungen, sondern erst in Verbindung mit politischen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen ergaben sich entsprechende Folgewirkungen", fasst er die nun als Buch veröffentlichten Ergebnisse seines Projekts zusammen. Zeitlhofer untersuchte dabei insbesondere den Zeitraum zwischen den Jahren 1640 bis 1848, in dem im Untersuchungsgebiet das Prinzip der Unteilbarkeit der Güter bei Besitzweitergabe vorherrschte.





Erbe mit Kaufvertrag
Die Ergebnisse, die Zeitlhofer zu seinem Resümee bewegten, waren dabei durchaus überraschend – und stehen im Kontrast zu den aktuell in der Literatur dargestellten Annahmen. So wurden in der untersuchten Pfarre ländliche Anwesen prinzipiell – egal ob im Erbfall oder bei einem Verkauf – mittels Kaufvertrag übertragen. Eine Unterscheidung zwischen Erbe und Kauf ist im Nachhinein also nicht klar möglich. Aufbauend darauf belegte er, dass die Empfängergruppen bei der Weitergabe von Besitz über die Jahrhunderte stark variierten. Waren es im 17. Jahrhundert vordergründig Nicht-Verwandte, so waren es ab dem 18. Jahrhundert eher Familienmitglieder. Diese Entwicklung hatte gravierende Auswirkungen auf die Lebenswege der Geschwister, die vom Erbe ausgeschlossen waren. Gelang es ihnen im 17. Jahrhundert noch zu Haus- und Grundbesitz zu kommen, wurde dies aufgrund der zunehmenden Weitergabe innerhalb der Familie im 18. Jahrhundert immer weniger möglich. So waren diese Geschwister oft zu einem lebenslangen Dasein als besitzlose "Inwohner" (Mieter) gezwungen.

Spektrum statt Polarisierung
Neben den Grundbüchern der untersuchten Pfarre – die alle (!) Besitzerwechsel im Untersuchungszeitraum auflisten – dienten Zeitlhofer zahlreiche Steuerkataster und eine komplette Familienrekonstitution als Datenquellen für seine Studie. Insgesamt gelang es ihm so zu zeigen, dass trotz der strikt eingehaltenen Weitergabe von ungeteiltem Besitz in der Pfarre keine stark polarisierte Gesellschaft entstand. Zwar bildete sich neben der gleich bleibenden Anzahl an bäuerlichen Höfen auch eine Gruppe Landloser, doch stellte es sich heraus, dass daneben ein durchaus breit gefächertes Spektrum an Kleinbesitzern entstand. Ursächlich dafür waren zahlreiche Möglichkeiten, die einen Landerwerb auch abseits der Erbfolge ermöglichten. Die gesellschaftliche Entwicklung lief also keinesfalls so monokausal ab, wie es die bisherigen Annahmen vermuten hatten lassen.

Weitere Infos zu dieser Pressemeldung:

Themen in dieser Pressemitteilung:


Unternehmensinformation / Kurzprofil:

FWF Der Wissenschaftsfonds.

Der Wissenschaftsfonds FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) ist Österreichs zentrale Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung.

Der FWF dient der Weiterentwicklung der Wissenschaften auf hohem internationalem Niveau. Er leistet einen Beitrag zur kulturellen Entwicklung, zum Ausbau der wissensbasierten Gesellschaft und damit zur Steigerung von Wertschöpfung und Wohlstand in Österreich.



PresseKontakt / Agentur:

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Hermann Zeitlhofer
Universität Wien Fachbereichsbibliothek Psychologie
Liebiggasse 5
1010 Wien
T +43 / 1 / 4277 - 16832
E hermann.zeitlhofer(at)univie.ac.at

Der Wissenschaftsfonds FWF:
Marc Seumenicht
Haus der Forschung
Sensengasse 1
1090 Wien
T +43 / 1 / 505 67 40 - 8111
E marc.seumenicht(at)fwf.ac.at
W http://www.fwf.ac.at

Redaktion & Aussendung:
PR&D – Public Relations für Forschung & Bildung
Mariannengasse 8
1090 Wien
T +43 / 1 / 505 70 44
E contact(at)prd.at
W http://www.prd.at



drucken  als PDF  an Freund senden  Klaus Brümann wird 90 Textildruck im Großformat
Bereitgestellt von Benutzer: PRD
Datum: 15.02.2016 - 12:33 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 1320911
Anzahl Zeichen: 4725

Kontakt-Informationen:
Ansprechpartner: Till C. Jelitto
Stadt:

Wien


Telefon: 0043 1 505 70 44

Kategorie:

Vermischtes


Meldungsart: Erfolgsprojekt
Versandart: Veröffentlichung
Freigabedatum: 15.02.2016

Diese Pressemitteilung wurde bisher 0 mal aufgerufen.


Die Pressemitteilung mit dem Titel:
"Erben prägt (doch nicht)"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von

FWF - Der Wissenschaftsfonds (Nachricht senden)

Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).

Unternehmen in der Pflicht ...

Unternehmensinteressen und Menschenrechten gleichermaßen Rechnung zu tragen, ist ein schwieriges Unterfangen. Ein geeigneter Weg zur Lösung von Konflikten können außergerichtliche Verfahren sein, wie ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Pr ...

Dem Frust-Gusto auf der Spur ...

Während Angst und Aggression uns eher den Appetit verderben, scheinen Trauer und Frustration Gusto und Gier zu steigern. Ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt betrachtet die Zusammenhänge von Stimmung und Überessen bei gesunden und b ...

Wie man eine Proteinfalle schmiedet ...

Wer wirksame Moleküle im Labor nachbauen kann, öffnet die Apotheke der Natur für Medikamente der Zukunft. Mit der Prüfung neu entwickelter Synthese-Prozesse und Katalysatoren ist es in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF gelungen, den vielve ...

Alle Meldungen von FWF - Der Wissenschaftsfonds