(ots) - Der Bundesverband öffentlich bestellter und
vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger (BVS) richtet am
12. und 13. November in den Tagungsräumen des Westin Leipzig den
Deutschen Sachverständigentag (DST) aus. Dabei wird es auch um die
Frage gehen, welche Lehren aus den sich häufenden Fällen von Pannen
bei großen öffentlichen Bauprojekten zu ziehen sind. Wie können sie
künftig vermieden, beziehungsweise in einem frühen Stadium erkannt
und behoben werden? Wie gehen andere Länder mit Bauablaufstörungen
um, kann Deutschland sich dort etwas abgucken? Als Anregung für die
Diskussion hat der BVS Fragen an Prof. Stefan Leupertz gerichtet. Der
Jurist, bis 2012 Richter beim Bundesgerichtshof, ist auf
außergerichtliche Streitbeilegung spezialisiert und als Adjudikator,
Schlichter, Schiedsrichter sowie Rechtsgutachter im
Baukonfliktmanagement tätig.
BVS: Große Bauprojekte der öffentlichen Hand ziehen derzeit viel
Spott auf sich. Vom Berliner Flughafen im Osten über das Kölner
Schauspiel- und Opernhaus im Westen bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof
im Süden und zur Hamburger Elbphilharmonie im Norden: überall laufen
Baukosten aus dem Ruder, müssen Eröffnungstermine verschoben werden.
Nicht nur die finanziellen Schäden sind enorm. Als Konsequenz schlägt
eine vom Bundesbauministerium eingesetzte Reformkommission unter
anderem vor, die außergerichtliche Streitbeilegung zu stärken.
Welchen Beitrag kann dieses Instrument tatsächlich leisten?
Leupertz: Die streitige Abwicklung und Nachbearbeitung von
Großbauvorhaben verschlingt in der Tat viel Zeit und noch mehr Geld.
Die Ursachen für solche Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten
sind vielschichtig, wurzeln aber oft in der Komplexität des
Baugeschehens selbst und den zugrunde liegenden rechtlichen
Strukturen, die einem hochausdifferenziertem, von Kasuistik geprägtem
Bauvertragsrecht entspringen. Bei vielen Streitfällen geht es im Kern
um die Beantwortung der Frage, welche Leistungen der Auftragnehmer zu
welchem Preis erbringen muss, bei Bauablaufstörungen tritt die Frage
nach der vertraglichen Bauzeit und den Verantwortlichkeiten für
Störfaktoren hinzu. Wenn diese Probleme nicht zeitnah gelöst werden,
gerät regelmäßig die gesamte Baumaßnahme in Schieflage, bis hin zum
Baustillstand und wechselseitigen Kündigungen mit katastrophalen
Folgen für das wirtschaftliche Gesamtergebnis des Bauprojekts. Die
nachläufige gerichtliche Klärung solcher Streitigkeiten, die überdies
mit enormem Aufwand und erheblichen Transaktionskosten vorbereitet
werden muss, vermag an alledem nichts mehr zu ändern. Demgegenüber
kann die Implementierung baubegleitender Streitvermeidungs- bzw.
Streitentscheidungsverfahren, etwa in Form eines
"Dispute-Adjudication-Boards (DAB)", dazu beitragen, dass Streit
rasch und unbürokratisch dort entschieden und beseitigt wird, wo er
entsteht. Die Vorteile einer solchen Vorgehensweise liegen auf der
Hand: Der Bauablauf wird nicht, jedenfalls nicht gravierend gestört
und die Beteiligten können frühzeitig abschätzen, welche zeitlichen
und monetären Konsequenzen sich aus der Veränderung des geplanten
Bauablaufs ergeben und dementsprechend reagieren. Ihre auf solche
Weise erzwungene Kollaboration wird die mit Ihrer Frage aufgezeigten
Probleme zwar nicht beseitigen, die Auswirkungen auf große und größte
Bauprojekte allerdings beherrschbar machen und auf ein Maß
reduzieren, das im Zusammenspiel mit einer sorgfältigen Planung und
Budgetierung des jeweiligen Vorhabens weit entfernt ist von den
genannten "Baukatastrophen".
BVS: Auf dem 18. Deutschen Sachverständigentag in Leipzig werden
verschiedene europäische Modelle außergerichtlicher
Schlichtungsverfahren vorgestellt und diskutiert. Es fällt auf, dass
hierzulande bei baurechtlichen Streitigkeiten der traditionelle
Klageweg immer noch die Regel ist. Überlastete Gerichte und lange
Verfahrensdauern scheinen wenig abzuschrecken. In anderen Ländern,
zum Beispiel in Großbritannien mit seinen obligatorischen
Adjucation-Verfahren, sieht das ganz anders aus. Warum stoßen
schnelle, unbürokratische Streitbeilegungsinstrumente in Deutschland
auf so große Skepsis?
Leupertz: Das im internationalen Vergleich immer noch gut
funktionierende deutsche Rechts- und Gerichtssystem hat bisher keinen
virulenten Bedarf an außergerichtlichen Streitbeilegungsinstrumenten
entstehen lassen! Deutsche Gerichte gelten zu Recht als zuverlässig,
unabhängig und fachkundig; der Gang zu den staatlichen Gerichten ist
im internationalen Vergleich hierzulande zudem sehr kostengünstig.
Warum soll man dann auf außerstaatliche Entscheidungsträger
ausweichen? Allerdings beginnen sich die Dinge für den Baubereich
mehr und mehr zu verschieben. Die Branche klagt mittlerweile schon
darüber, dass gerichtliche Verfahren in Bausachen viel zu lange
dauern und auch fehlende Fachkompetenz der Richter, die oft keine
besondere Ausbildung und Schulung für die Spezialmaterie "Bau"
besitzen, wird bemängelt. Ob das allerdings dazu führen wird, dass -
wie bspw. in England - kaum noch eine baurechtliche Streitigkeit zu
Gericht geht, halte ich für fraglich. Denn auf der Grundlage des in
England praktizierten "common law" werden die am Bau auftretenden
Streitigkeiten traditionell technik- und fachbezogen gesehen und
deshalb außergerichtlich von sog. "Engineers" bearbeitet, während in
Deutschland mit seinem hochausdifferenzierten, von abstrakt
generellen Rechtssätzen dominierten "civil law" Rechtsfragen und ihre
Beantwortung im Vordergrund stehen.
BVS: Im Idealfall kommt es gar nicht erst zu nachhaltigen
Störungen im Bauablauf, Streitigkeiten und teuren
Terminverzögerungen. Wie müssten Konfliktlösungsmechanismen
ausgestaltet sein, die präventiv wirken? Welche Rolle kommt dabei
öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu?
Leupertz: Wie bereits angedeutet, müssen die Baubeteiligten
Vorkehrungen für eine außergerichtliche Streitvermeidung und/oder
Streitbeilegung treffen. Dazu bietet sich bei Bauvorhaben ab einer
bestimmten Größenordnung (ca. 5 - 7 Mio Bauvolumen) die vertraglichen
Implementierung eines sog. "Dispute-Adjudication-Boards (DAB)" an,
das die Baumaßnahme von Anfang an begleitet und bei Bedarf für eine
rasche (Entscheidungsfristen von weniger als 60 Tagen sind keine
Seltenheit!), vorläufig bindende Entscheidung von Streitigkeiten aus
dem Bauvertrag hinzugezogen werden kann. Es ist üblich, dass solche
DABs mit Juristen und Technikern besetzt werden, womit sich ein
wichtiges Spielfeld für Ingenieure und Sachverständige öffnet.
Darüber hinaus finden sich in zahlreichen Bauverträgen Klauseln, nach
denen die Beurteilung bestimmter technischer Sachverhalte im
Streitfall der bindenden Entscheidung eines Schiedsgutachters
unterworfen wird. Auch das ist ein wichtiger Aufgabenbereich für
Sachverständige im Zusammenhang mit außergerichtlichen
Konfliktlösungsmechanismen.
Pressekontakt:
Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter
sowie qualifizierter Sachverständiger e.V. (BVS)
Willi Schmidbauer, BVS-Präsident
André Ricci, BVS-Pressereferent
Charlottenstraße 79/80
10117 Berlin
Tel.: 030 255 938-22
Fax: 030 255 938-14
ricci(at)bvs-ev.de
www.bvs-ev.de