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Verfassungsbeschwerde zum Restitutionsverfahren Sommerfeld-Siedlung in Kleinmachnow nicht zur Entscheidung angenommen

ID: 123219

Verfassungsbeschwerde zum Restitutionsverfahren Sommerfeld-Siedlung in Kleinmachnow nicht zur Entscheidung angenommen

(pressrelations) - >Seit dem 3. Oktober 1990 gilt in der Bundesrepublik Deutschland das Vermögensgesetz. Dieses regelt auch die Restitution an Opfer der Verfolgung durch das national-sozialistische Regime, die dadurch Vermögensverluste auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erlitten haben. Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass eine Wiedergutmachung für Vermögensverluste durch NS-Unrecht auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR praktisch nicht stattgefunden hat, hingegen im früheren Bundesgebiet die Wiedergutmachungsgesetzgebung (Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze) zunächst der Alliierten und später der Bundesrepublik den Ausgleich von verfolgungsbedingten Vermögensschädigungen vorsah. Das Vermögensgesetz unterscheidet zwischen Rückgabe einzelner Vermögenswerte (Einzelrestitution) und Unternehmensgesamtheiten (Unternehmensrestitution). Die Einzelrestitution ist bei einer möglichen Unternehmensrestitution grundsätzlich ausgeschlossen. Einzelne Vermögensgegenstände, die einem Unternehmen nach der Schädigung entzogen wurden, können nicht zurückverlangt werden ("weggeschwommene Vermögenswerte"). 1992 schaffte der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Sonderregelungen für NS-Verfolgte, wonach eine Einzelrestitution "weggeschwommener" Vermögenswerte ausnahmsweise neben der Unternehmensrestitution möglich ist (einfacher Durchgriff). 1997 wurde das Vermögensgesetz dahingehend ergänzt, dass der Durchgriff auch dann möglich ist, wenn nicht das Unternehmen, sondern Beteiligungsrechte an dem Unternehmen entzogen wurden (doppelter Durchgriff). Der in Streit stehende Restitutionsausschluss durch § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG wurde gleichzeitig eingeführt. Die Vorschrift nimmt als Gegenausnahme Grundstücke von dem Durchgriff aus, die von einem Entwicklungs-, Siedlungs- oder Wohnungsbauunternehmen entsprechend dem vor der verfolgungsbedingten Schädigung überwiegenden Unternehmenszweck an natürliche Personen bis zum 8. Mai 1945 zu einem üblichen Preis für den Wohnungsbau veräußert wurden.





Der Beschwerdeführer begehrte im Wege des doppelten Durchgriffs die Einräumung von Bruchteilseigentum an einem Grundstück, das Teil der sog. Sommerfeld-Siedlung in Kleinmachnow (Brandenburg) ist. Ursprüngliche Eigentümerin des Grundstücks war eine Siedlungsgesellschaft, deren Anteile zu ca. 80 % dem jüdischen Bauunternehmer Adolf Sommerfeld gehörten. Die Siedlungsgesellschaft erschloss, parzellierte und verkaufte Grundstücke ab 1930 direkt an Siedler. Sommerfeld flüchtete im April 1933 aus Deutschland, nachdem er in seinem Haus von SA-Männern überfallen worden war. Unmittelbar darauf wurden in seinen Betrieben NSDAP-Mitglieder als kommissarische Leiter eingesetzt, so dass er faktisch die Inhaberschaft über seine Unternehmen verlor. Nach dieser sog. "Arisierung" setzte die Siedlungsgesellschaft den Geschäftsbetrieb unverändert fort. Das streitgegenständliche Grundstück wurde 1934 entsprechend dem ursprünglichen Unternehmenszweck zu einem schon vor der "Arisierung" üblichen Preis an Privatpersonen veräußert. Nach der Wiedervereinigung meldete die Conference on Jewish Material Claims against Germany Inc. vermögensrechtliche Ansprüche an und trat diese an den Beschwerdeführer ab. Das Verwaltungsgericht lehnte die Einräumung von Bruchteilseigentum ab. Die Revision war erfolglos. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügte eine Verletzung des Gleichheits- und Eigentumsgrundrechts durch die fachgerichtlichen Entscheidungen und den Restitutionsausschluss nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschwerdeführer ist durch § 3 Abs.1 Satz 11 VermG nicht in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs. 1 GG verletzt. Zwar führt die Restitutionsausschlussvorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG zu Ungleichbehandlungen. Diese sind aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil sachlich einleuchtende Gründe für diese Differenzierung gegeben sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass der Gesetzgeber einen besonders weiten Gestaltungsspielraum hat, wenn es um die Wiedergutmachung von Unrecht geht, das eine dem Grundgesetz nicht verpflichtete Staatsgewalt zu verantworten hat. Er ist zwar auch insoweit an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, muss ihn aber bei diesem Regelungsgegenstand wie allgemein bei der Bewältigung der Folgen des Krieges und des nationalsozialistischen Regimes lediglich in seiner Bedeutung als Willkürverbot beachten. Der Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo mit anderen Worten ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt. Die sich daraus ergebenden Grenzen sind vorliegend nicht überschritten.

§ 3 Abs. 1 Satz 11 VermG führt zwar zu Ungleichbehandlungen zwischen NS-Verfolgten. Anders als bei den von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG erfassten Entwicklungs-, Siedlungs- und Wohnungsbauunternehmen (Unternehmensparzellierern) erfolgt bei den NS-Opfern, die aus ihrem entzogenen Privatvermögen Grundstücke zu Wohnbauzwecken veräußert haben (Privatparzellierer), die Rückgabe entzogener Grundstücke nach den Vorschriften über die Einzelrestitution von entzogenen Vermögenswerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VermG). Sie ist im Fall der Weiterveräußerung der Grundstücke nach der Entziehung keinen Beschränkungen unterworfen. Insbesondere findet § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur auf Veräußerungen durch Unternehmen und nicht auch auf den Verkauf von Grundstücken aus dem Privatvermögen natürlicher Personen Anwendung. Für die Frage, ob im Fall eines verfolgungsbedingt geschädigten Parzellierers ein ausnahmsweise bestehender Durchgriffsanspruch auf ein "weggeschwommenes" Grundstück nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG ausgeschlossen sein kann, oder ob es sich von vornherein um einen Einzelrestitutionsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG handelt, kommt es demnach nur darauf an, ob das betreffende Grundstück einem Unternehmens- oder einem Privatvermögen zuzuordnen war. Darüber hinaus lässt sich eine rechtliche Ungleichbehandlung zwischen solchen von NS-Verfolgung betroffenen Unternehmenseigentümern feststellen, die schon vor der Schädigung aus ihrem Unternehmensvermögen Grundstücke zu Wohnbauzwecken an Privatpersonen veräußert haben, ohne dass dies ihr überwiegender Unternehmenszweck war (z.B. Bankhäusern, die nur gelegentlich Grundstücke verkauft haben), und den in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG genannten Unternehmen beziehungsweise deren jeweiligen Anteilseignern. Erstere sind zu einem uneingeschränkten Durchgriff auf die Grundstücke im Wege der Einzelrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG berechtigt, unabhängig von der Art und Weise der Veräußerung, letztere hingegen nicht.

Diese Ungleichbehandlungen sind jedoch nicht als sachwidrig anzusehen und damit im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG unbedenklich. Der Gesetzgeber ging davon aus, der Restitutionsausschluss nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG sei am alliierten Rückerstattungsrecht orientiert. Er trage dem Umstand Rechnung, dass die NS-Verfolgten durch die Eingliederung ihrer Ansprüche in das Vermögensgesetz weder schlechter noch besser gestellt werden sollten als bei der Anwendung des alliierten Rechts. Mit diesem Ziel hat der Gesetzgeber aber auch die Vorschriften über den Durchgriff auf "weggeschwommene" Vermögenswerte in § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG begründet. Insofern erscheinen die Bestimmungen über den doppelten Durchgriff nach § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG - einschließlich des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG - als Teil eines Gesamtkonzepts, das für sich in Anspruch nimmt, an dem einheitlichen Prinzip der Angleichung der Rechte der Betroffenen an das alliierte Rückerstattungsrecht ausgerichtet zu sein. Der Beschwerdeführer hatte insoweit eingewandt, das alliierte Rückerstattungsrecht habe eine dem sektoralen Restitutionsausschluss, wie er in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG vorgesehen ist, vergleichbare Vorschrift tatsächlich aber nicht gekannt. Er meint deshalb, der Gesetzgeber habe damit seine eigene Konzeption, sich im Ergebnis am Rückerstattungsrecht zu orientieren, durchbrochen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG seinem selbst vorgegebenen System und Regelungsziel tatsächlich nicht gerecht geworden ist. Denn aus einer solchen etwaigen Systemwidrigkeit lässt sich dann nichts für einen Gleichheitsverstoß herleiten, wenn sonst plausible Gründe für die abweichende Regelung gegeben sind.

Als einen solchen plausiblen Grund hat das Bundesverfassungsgericht den ebenfalls schon im Gesetzgebungsverfahren mit der Bezeichnung des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG als "Siedlerschutzklausel" zum Ausdruck gebrachten weiteren Zweck angesehen. Mit der Vorschrift sollen natürliche Personen, die ohnehin zur Veräußerung an Siedler vorgesehene Grundstücke im gewöhnlichen Geschäftsgang zu üblichen Preisen erworben und damit nicht treuwidrig von der Verfolgung der früheren Unternehmenseigentümer in der NS-Zeit profitiert haben (sog. "loyale" Erwerber), vor Durchgriffsansprüchen geschützt werden. Der Gesetzgeber hat damit nachvollziehbar die Interessen der Siedler, die bis zum 8. Mai 1945 in einer bestimmten schützenswerten Weise Eigentum erworben haben, gegenüber den Restitutionsinteressen der NS-Opfer höher gewichtet. Da der Schutz sich auf die Eigentümlichkeit des rechtsgeschäftlichen Erwerbsvorgangs bezieht, ist es zudem jedenfalls nicht sachwidrig, wenn er auch den Rechtsnachfolgern der ursprünglichen Erwerber gewährt wird. Ebenfalls unbedenklich ist, dass der Schutz sich nicht allein auf diejenigen Eigentümern erstreckt, die ihre Grundstücke heute tatsächlich noch selbst nutzen.

Mit Blick auf diejenigen natürlichen Personen, die ihre Eigenheimgrundstücke von Unternehmensparzellierern erworben haben, welche nicht unter § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG fallen, ist allerdings einzuräumen, dass diese im Einzelfall ebenfalls Eigentum erlangt haben können, ohne dabei in treuwidriger Weise von einer etwaigen NS-Verfolgung profitiert zu haben. Der Gesetzgeber war jedoch zu der von ihm in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG gewählten typisierenden Regelung berechtigt, so dass die Außerachtlassung anderer als der in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG genannten Unternehmensparzellierer beim Restitutionsausschluss von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist. Vorliegend erscheint eine Typisierung insbesondere mit Blick darauf gerechtfertigt, dass es sich um Jahrzehnte zurückliegende Sachverhalte handelt, deren Aufklärung oft nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist. Es liegt deshalb durchaus nahe, dass der Gesetzgeber die Feststellung eines "loyalen" Erwerbs auf das Vorliegen einer bestimmten, leicht feststellbaren Tatbestandskonstellation beschränkt hat, bei der ein solcher Erwerb angesichts der Umstände jedenfalls mit großer Sicherheit vorausgesetzt werden kann. Hinsichtlich der Vergleichsgruppe der Privatparzellierer ist die Differenzierung ebenfalls nicht evident sachwidrig. Die prinzipielle Ungleichartigkeit der Regelungsgegenstände hat den Gesetzgeber im Rahmen der restitutionsrechtlichen Vorschriften des Vermögensgesetzes von vornherein zu einem unterschiedlichen Regelungsansatz bei der Restitution von Unternehmen und sonstigen Vermögensgegenständen veranlasst, die durch § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG nur ausnahmsweise durchbrochen ist. Durch die in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG enthaltene Gegenausnahme kehrt das Gesetz für den Fall bestimmter Unternehmensparzellierer wieder zu der Trennung und unterschiedlichen rechtlichen Behandlung beider Regelungsbereiche zurück, die das Vermögensgesetz auch im Übrigen beherrscht.

Auch Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Für den hier in Rede stehenden Fall, dem der verfolgungsbedingte Entzug einer Unternehmensbeteiligung zugrunde liegt, ist bereits ein Eingriff in das Grundrecht nicht feststellbar, weil der Restitutionsanspruch nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig mit dem Anspruchsausschluss nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG in Kraft getreten und damit von vornherein mit diesem belastet gewesen ist. Damit sind die Durchgriffs-ansprüche nur mit den Beschränkungen nach § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG in den Schutzbereich des Art. 14 GG gelangt.


URL: www.bundesverfassungsgericht.de

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Datum: 30.09.2009 - 22:48 Uhr
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