PresseKat - Wir sind nicht alleine - Herrenhäuser Forum zum menschlichen Mikrobiom

Wir sind nicht alleine - Herrenhäuser Forum zum menschlichen Mikrobiom

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Wir sind nicht alleine - Herrenhäuser Forum zum menschlichen Mikrobiom

(pressrelations) -
Der Mensch wäre nicht überlebensfähig, wenn er nicht von einer riesigen Zahl von Mikroorganismen besiedelt wäre. Wie dieses Zusammenleben aussieht, erläuterten Experten in Hannover.

Veranstaltungsbericht zum Herrenhäuser Forum Mensch-Natur-Technik am 9. Oktober 2014

"Hundert Billionen Mitbewohner: Wie Mikroorganismen unsere Gesundheit beeinflussen" mit Prof. Dr. Dirk Haller, Prof. Dr. Harald Renz, Prof. Dr. Mathias Hornef, Dr. Kerstin Berer und Dr. Daniel Lingenhöhl (Moderation)

Wir sind nicht alleine - aber wer oder was ist immer bei uns?

Die Erkenntnis, dass der Mensch nicht nur aus verschiedenen Körperzellen besteht, sondern auch Mikroorganismen einen großen Platz auf und in uns einnehmen, mag nicht jeden überraschen. Die schiere Masse der mikroskopisch kleinen Mitbewohner stellt für viele vermutlich trotzdem eine gänzlich neue Information dar: Allein im Darmtrakt befinden sich durchschnittlich zwei Kilogramm an Mikroorganismen. Mit dieser beeindruckenden Zahl wurde der Gesprächsabend eröffnet, der sich ganz dem menschlichen Mikrobiom, also der Gesamtheit aller den Mensch besiedelnden Mikroorganismen, widmen sollte. Wozu dienen aber diese unzähligen Mikroorganismen? Dr. Daniel Lingenhöhl, Redaktionsleiter von Spektrum.de und Moderator des Abends, gab in seinen einleitenden Worten die Antwort: Beispielsweise zerlegen sie im Mund Zucker in kleinere Moleküle und helfen im Darm dabei, Nährstoffe aufzuspalten und uns Vitamine zuzuführen. Sie sind bei unserer Nahrungsaufnahme also wichtige Partner.

Diese Partner leben aber nicht bereits zum Beginn unseres Lebens auf und in unserem Körper. "Bei unserer Geburt fangen wir "bei Null" an, dann werden wir über die ersten Lebensjahre kolonisiert. Dies geschieht zum Beispiel durch Kontakt mit der Mutter, mit Haustieren und generell mit der Umwelt", erläuterte Prof. Dr. Dirk Haller, Mikrobiologe und Ernährungswissenschaftler der Technischen Universität München, in seinem Impulsvortrag. Die Forschung über sämtliche Arten, aus denen sich unser Mikrobiom zusammensetzen kann, sowie deren genetische Ausstattung ist allerdings noch eine junge Disziplin, auch wenn in den USA und in Europa das Thema vermehrt in den Fokus der Forschung gerät. Bisher ist bereits bekannt, dass etwa das intestinale Mikrobiom aus zehn Mal mehr Zellen und 300 Mal mehr Genen besteht als der Wirt, also der Mensch.





Der Darm ist anders als der Mund

Eine Herausforderung für die Forschung ist die Tatsache, dass die einzelnen Mikrobiome, also das auf der Haut, das intestinale oder auch das im Mund, sich ganz unterschiedlich zusammensetzen. "Auch die Mikrobiome jedes Menschen unterscheiden sich voneinander. Sie charakterisieren uns und ließen sich sogar forensisch nutzen als eine Art mikrobieller Fingerabdruck", berichtete Haller. Auch erklärte er, dass viele Erkrankungen wir Allergien, Asthma, Fettleibigkeit, Diabetes und weitere mit der Art der Kolonisierung mit Bakterien zusammenhängen. Aktuelle Forschungsprojekte befassen sich daher mit der Frage, worin genau diese Zusammenhänge bestehen.

Den ersten Vortrag des Abends hielt Prof. Dr. Dirk Haller von der Technischen Universität München. Er führte anschaulich in die Thematik rund um das Mikrobiom ein. (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Zudem sei das Zusammenspiel mit der Ernährung wieder in den Fokus gerückt, nachdem vor zehn Jahren noch vielfach postuliert wurde, dass die Ernährung unsere Gesundheit kaum beeinflusst, berichtete Haller, und zog einen anschaulichen Vergleich: "Es verhält sich bei diesen möglichen Zusammenhängen zwischen Mikrobiom, Ernährung und Gesundheit wie bei einem Tor in einem Fußballspiel: Wer ist dafür verantwortlich - der Einzelspieler oder das gesamte Team?"

Allergien: Die Epidemie des 21. Jahrhunderts

Im zweiten Vortrag des Abends erfragte Prof. Dr. Harald Renz, Immunologe an der Universität Marburg, zunächst die Anzahl der von Asthma, Allergien und entzündlichen Darmerkrankungen betroffenen Zuschauer im Publikum. Das Ergebnis: Rund ein Drittel der Anwesenden hob die Hand. Ihnen bescheinigte der Forscher mit einem Augenzwinkern ein höheres Einkommen, eine größere Intelligenz und einen gehobenen Lebensstandard und verwies mit dem Test darauf, dass die allgemeinen Lebensstilfaktoren in unserem Land einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit zu haben scheinen. "Allergien sind die Epidemie des 21. Jahrhunderts!", erklärte Renz.

Als weitere beispielhafte Erkrankung führte er Asthma an, das inzwischen weltweit ein großes Problem darstellt - wobei Entwicklungsländer gegenüber den industrialisierten bezüglich der Verbreitung rund eine Generation zurück sind. Er erklärte dieses Phänomen durch die Bedeutung der prä- und postnatalen Lebensabschnitts bei Neugeborenen: "Diese beiden Lebensphasen sind ganz entscheidend für die Entwicklung unseres Immunsystems, da bereits über die Placenta viele Faktoren wie Stoffwechselprodukte, Nahrungsmittel und auch Keimfragmente die Babys im Mutterleib beeinflussen." Besonders deutlich wird dies an den Auswirkungen der Hungersnot in den Jahren 1944/45, die seinerzeit in den Niederlanden extrem groß war, wie Renz ausführte: Die Mangelernährung bei den damals Schwangeren, die zu einem veränderten Mikrobiom beitrug, führte erwiesenermaßen nicht nur in der ersten nachfolgenden Generation zu einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit, beispielsweise an Fettleibigkeit, Schizophrenie, Brustkrebs, Herzleiden oder auch Asthma zu erkranken. Auch die zweite Generation, also die Enkel, sei von den Folgen des Nahrungsnotstandes noch geprägt.

Den ersten Vortrag des Abends hielt Prof. Dr. Dirk Haller von der Technischen Universität München. Er führte anschaulich in die Thematik rund um das Mikrobiom ein. (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Aber auch die Art der Geburt - ob natürlich oder per Kaiserschnitt - hat laut Studien einen Einfluss auf unser Mikrobiom. Daher lautete das Plädoyer von Renz: "Das Beste, was Sie heute tun können: Bringen Sie Schwangere in einen traditionellen Kuhstall!" Denn, so erklärte Renz, die Umweltkeime setzen sich auf natürlichem Wege mit unserem Immunsystem auseinander und stärken es: "Vielfalt und natürliche Exposition ist das, was wir brauchen."

Bedingt die Mikroflora die Krankheit oder die Krankheit die Mikroflora?

In der anschließenden Podiumsdiskussion kamen noch weitere Stimmen zur Sprache. Dr. Kerstin Berer, Neurobiologin am Max Planck Institut für Neurobiologie, beschrieb einen zusätzlichen Weg, auf dem unser Mikrobiom auf unsere Gesundheit einwirkt: Bakterien beeinflussen über Stoffwechselprodukte unsere Immunzellen, diese werden dadurch fehlgeleitet und greifen bestimmte Proteine im Gehirn an, was wiederum Multiple Sklerose befördert. Allerdings, so stellte die Wissenschaftlerin klar, "stellt sich Forschern Frage, ob diese Mikroflora so besteht, weil man an Multipler Sklerose erkrankt ist, oder ist es die Mikroflora, die einen erst krank macht?"

Der Aussage, dass über das menschliche Mikrobiom noch viel Forschung notwendig ist, stimmte auch Prof. Dr. Mathias Hornef zu. Er ist Mikrobiologe und Immunologe an der Medizinischen Hochschule Hannover und erklärte, dass die Forschung über das menschliche Mikrobiom vor allem im deskriptiven Bereich erfolgt, Erkenntnisse also über Beobachtungen möglicher Zusammenhänge gewonnen werden. Da keine "kontrollierten Bedingungen" im Menschen vorherrschen, sei nur schwer zu differenzieren, was Ursache und was Wirkung ist.

Tierzucht mithilfe von Mikrobiom-Manipulation

Hornef erläuterte auch noch die Bedeutung von Antibiotika und ihr Zusammenspiel mit dem Mikrobiom. In der Rinder- und Schweinemast werden Antibiotika bereits seit langer Zeit in geringen Mengen eingesetzt, um die Darmflora der Tiere dahingehend zu beeinflussen, dass sie im Endeffekt zu mehr Fettleibigkeit neigen. Auch die Tatsachse, dass Ärzte häufig unbegründet Antibiotika verschreiben, führt nicht nur zu einer teils dauerhaften Veränderung des individuellen Mikrobioms, sondern auch zu vermehrten Resistenzen der Keime gegen die Wirkstoffe. "Antibiotika sind grundsätzlich ein sehr wichtiges Mittel bei der Krankheitsbekämpfung. Aber wir lernen erst jetzt, dass dieser große Vorteil nur durch einen Nachteil erkauft wird", berichtete Hornef.

Am Ende taten sich aber alle Diskutanten schwer, einen allgemeingültigen, gesicherten Rat zu geben, wie sich der Mensch am besten verhalten und sich ernähren soll, um möglichst gesund und mit einem stabilen Mikrobiom zu leben. Denn in vielen Forschungsgebieten rund um das Mikrobiom liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor, die es in den kommenden Jahrzehnten zu gewinnen gilt.

Tina Walsweer


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Datum: 19.12.2014 - 16:04 Uhr
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