(ots) -
Zum zweiten Mal nach 2009 hat die Gemeinnützige Hertie-Stiftung
eine Berlin-Studie in Auftrag gegeben - genau 25 Jahre nach dem Fall
der Mauer. Ein Wissenschaftlerteam der Hertie School of Governance
führte unter Leitung der Soziologen Helmut Anheier und Klaus
Hurrelmann die Studie durch. Unter anderem wurden dafür 2000
Berlinerinnen und Berliner im Alter ab 14 Jahren telefonisch nach
ihren Meinungen und Einstellungen zur Hauptstadt befragt. Die
Stichprobe bildet die Berliner Wohnbevölkerung in der gesamten Breite
ab. Unterfüttert wurden die Ergebnisse mit sozialen, ökonomischen und
demografischen Daten. Die Studie zeichnet ein umfassendes Bild der
Stadt heute und im Vergleich zu 2009 aus der Perspektive ihrer
Bewohner.
Die Wirtschaft der Hauptstadt wächst so stark wie in keinem
anderen Bundesland, allerdings von einem niedrigen Niveau (Anstieg
des realen Bruttoinlandsprodukt zwischen 2005 und 2013
durchschnittlich 2,3 Prozent jährlich; Bundesdurchschnitt: 1,5
Prozent). Berlin ist heute die Stadt mit den meisten Besuchern und
den meisten Unternehmensgründern in Deutschland und die
Arbeitslosenzahlen sinken. Aber mit 12 Prozent Hartz-IV-Empfängern
liegt die Stadt weiterhin über dem Bundesdurchschnitt und bezahlbarer
Wohnraum wird zunehmend knapp.
Ihrem Senat stellen die Berliner daher ein sehr durchwachsenes
Zeugnis aus. Vor allem mit der Politik in den Bereichen
Armutsbekämpfung, Arbeitsplätze, Infrastruktur, Wohnungspolitik und
Schulen sind sie mehrheitlich unzufrieden. Die Stimmung scheint dies
aber nicht wirklich zu drücken: 93 Prozent leben gern in Berlin
(davon 59 Prozent sehr gern und 34 Prozent gern; 2009: 54 bzw. 35
Prozent) und blicken optimistisch in die Zukunft: 69 Prozent der
Hauptstädter rechnen damit, dass sich die Stadt in den nächsten fünf
Jahren positiv entwickeln wird.
"Die Zufriedenheit der Berliner hat seit 2009 sogar noch
zugenommen, und zwar ausgeprägter, als es objektive Indikatoren wie
Einkommen, Arbeitslosigkeit oder die Wohnungssituation vermuten
lassen. Der Optimismus ihrer Bewohner gepaart mit der offensichtlich
hohen Anziehungs- und Integrationskraft der Stadt ist ihr derzeit
größtes Potenzial", so Helmut K. Anheier, wissenschaftlicher Leiter
der Studie.
Die wichtigsten Ergebnisse:
Berlin wächst und wird jünger
Die Berliner Bevölkerung wächst seit 2010 jährlich um etwa ein
Prozent und wird entgegen dem Bundestrend jünger: Altersdurchschnitt
in Berlin 42,9 Jahre, in Deutschland 44,1 Jahre. Die Hälfte der
Befragten ist nicht in Berlin geboren. Die Zugezogenen sind
mehrheitlich gut ausgebildet und kommen der Karriere wegen in die
Hauptstadt.
Hohe Identifikation mit der Stadt
Fast 90 Prozent der Befragten fühlen sich als Berliner. Auch
Zugezogene stellen sehr bald eine positive Identifikation mit der
Stadt her. Der Trend gilt für Ost- und Westberliner, für Deutsche wie
Ausländer gleichermaßen.
Die Mauer in den Köpfen bröckelt langsam
Mittlerweile geben 36 Prozent der Befragten an, dass sie keine
Unterschiede zwischen Ost und West mehr erkennen können. 2009 sagten
das nur 24 Prozent. Die Mauer in den Köpfen verschwindet Schritt für
Schritt.
Zentrum und Peripherie driften auseinander
Die Studie analysiert Berlin mit Hilfe des Gesellschafts- und
Zielgruppenmodells der so genannten Sinus-Milieus. Danach sind zwei
Gruppen im Bundesvergleich besonders ausgeprägt: das "prekäre Milieu"
der wirtschaftlich, sozial und kulturell Benachteiligten mit 12
Prozent (bundesweit: 9 Prozent) sowie das kreative, mobile und
ambitionierte Milieu der "Expeditiven" mit 9 Prozent (bundesweit: 7
Prozent). Letzteres findet sich vor allem in Mitte und den
angrenzenden zentralen Bezirken, die auch am meisten vom Zuzug
profitieren. Die Randbezirke hingegen verzeichnen kaum Zuzug und
altern rapide.
Unzufriedenheit mit Politik, Anerkennung für Verwaltung
Dreiviertel der Berliner interessieren sich für Politik. Doch das
Zeugnis für den Senat der Stadt ist nicht positiv: Vor allem bei den
Themen Infrastruktur, insbesondere dem Flughafen, Armutsbekämpfung,
Wohnungen, Arbeitsplätze und Schulen sind die Berliner nicht
zufrieden. Anerkennung zollen sie hingegen der Verwaltung, die trotz
Überlastung und Überalterung als kompetent und freundlich
eingeschätzt wird.
Die Zufriedenheit damit, wie Demokratie funktioniert, ist deutlich
gestiegen (2014: 35 Prozent, 2009: 25 Prozent), im Vergleich zu
ähnlichen bundesweiten Befragungen aber immer noch relativ niedrig.
Leicht gestiegen ist die Zufriedenheit mit den politischen
Partizipationsmöglichkeiten, nämlich von 37 auf 40 Prozent. Direkte
politische Beteiligungsmöglichkeiten werden honoriert, treten aber in
ein zunehmendes Spannungsverhältnis mit der "herkömmlichen"
repräsentativen Demokratie.
Die Hertie Berlin Studie "Die Hauptstädter - Berlin 25 Jahre nach
dem Mauerfall", herausgegeben von Helmut K. Anheier und Klaus
Hurrelmann, Hoffmann und Campe, 288 Seiten, ISBN: 978-3-455-50339-5,
Erscheinungsdatum: 4.11.2014
Ausführliche Studienergebnisse mit entsprechenden Grafiken stehen
zum Download bereit: www.hertie-berlin-studie.de
Als eine der größten weltanschaulich unabhängigen und
unternehmerisch ungebundenen Stiftungen in Deutschland verfügt die
Hertie-Stiftung über ein Anlagevolumen von mehr als 959 Millionen
Euro (per 31.12.2013), dessen Erträge dem Allgemeinwohl gewidmet
sind. Dem Willen ihres Stifters Georg Karg folgend, orientiert sich
die Hertie-Stiftung an den Lebenssituationen der Menschen und den
Herausforderungen der zukünftigen Gesellschaft in den Arbeitsgebieten
Vorschule und Schule, Hochschule, Neurowissenschaften und Beruf und
Familie.
Pressekontakt:
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