Mitte der 50er-Jahre ist Deutschland in die 
Atomkraft eingestiegen, knapp 70 Jahre später wird Schluss sein. Die 
CDU, SPD und die Gewerkschaften waren zu Beginn 
euphorisch-fortschrittsversessen dafür. Die CDU, die SPD und die 
Gewerkschaften sind am Ende euphorisch-fortschrittsversessen dagege ...

30.06.2011

WAZ: Eine Frage unserer Haltung. Leitartikel von Ulrich Reitz


Mitte der 50er-Jahre ist Deutschland in die
Atomkraft eingestiegen, knapp 70 Jahre später wird Schluss sein. Die
CDU, SPD und die Gewerkschaften waren zu Beginn
euphorisch-fortschrittsversessen dafür. Die CDU, die SPD und die
Gewerkschaften sind am Ende euphorisch-fortschrittsversessen dagegen.
Die kurze Geschichte der Atomkraft hält also eine Botschaft bereit.
So wie eine breite gesellschaftliche Mehrheit einmal mit guten
Gründen für die Atomkraft sein konnte, kann zu einem späteren
Zeitpunkt eine breite gesellschaftliche Mehrheit mit guten Gründen
dagegen sein. Die Schlussfolgerung daraus ist eher demütig: Man hüte
sich vor absoluten Wahrheiten. Wer weiß schon, was noch passiert, wer
kann ahnen, wohin der Zeitgeist driftet? Grün wird er nicht ewig
bleiben.

So richtig uns dieser Ausstieg erscheint, wirft er aber auch ein
paar Fragen auf. Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Das ist
eines der größten Probleme dieser Entscheidung: Der Atom-Ausstieg
inklusive folgerichtiger Energiewende ist ein Experiment. Experimente
können gelingen. Experimente können scheitern. Ein Optimist wird ans
Gelingen glauben, aber wissen kann er es nicht. Da es sich nicht um
irgendein Experiment handelt, sondern um das vielleicht größte in der
deutschen Nachkriegsgeschichte, winkt ein großer Sieg. Oder eine
große Niederlage.

Es gibt auch ein Verantwortungsdilemma. Man wird die Sieger kaum
mehr feiern, die Verlierer kaum bestrafen können. Andere werden
regieren. Falls es 2022 noch Talkshows gibt, werden sie fragen, was
damals, 2011, richtig war und was falsch. Dass alles richtig gemacht
wurde, wird wohl kaum das Fazit solcher Sendungen sein können.
Andererseits besteht Politik manchmal nicht aus Klein-Klein. Manchmal
stößt das von einem unserer wichtigsten Demokratie-Philosophen, Karl


Popper, erdachte Prinzip von Versuch und Irrtum an seine Grenzen. Die
Wiederbewaffnung, die Wiedervereinigung, der Wiederausstieg entzogen
und entziehen sich Versuch und Irrtum. Es waren politische
Weichenstellungen, denen eins gemeinsam war: Vom Umtausch
ausgeschlossen.

Fazit: Wenn das aber so ist, dann haben wir jetzt tatsächlich nur
eine Wahl: Augen auf und durch. Skeptisch bleiben, vor allem
gegenüber Propheten. Euphorie ist ein schlechter Ratgeber. Und bei
jeder Einzelentscheidung genau darauf achten, ob die Kosten, nicht
nur die finanziellen, im angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.



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