PresseKat - «Du bist dumm!»

«Du bist dumm!»

ID: 1360334

Schweiz: Asylsuchende werden bei Befragungen eingeschüchtert, angeschrien und beschimpft. Das sagen Dolmetscher, Hilfswerke und Rechtsvertreter.

(firmenpresse) - Die Vorwürfe sind happig. Mitarbeiter des Schweizer Staatssekretariats für Migration (SEM) schrien Asylbewerber bei den Befragungen in den Empfangszentren des Bundes an. Sie drohten ihnen, schüchterten sie ein. Zum Teil lachten sie sie gar aus oder beschimpften sie. Das sagen mehrere voneinander unabhängige Quellen. «Du bist dumm» oder «Sag mir die Wahrheit» seien ebenso gehörte Sprüche wie «Ich habe die Schnauze voll. Du lügst» oder «Verarsch mich nicht».
Die Asylsuchenden würden unterbrochen von «ungeduldigen und genervten Befragern», die «unfreundlich und arrogant» seien, wie es eine Dolmetscherin formuliert, die für das SEM in verschiedenen Empfangszentren in der Schweiz tätig ist. Besonders schlimm sei die Situation in Kreuzlingen TG, dem größten der fünf Empfangszentren des Bundes. Aber auch in Altstätten SG und Basel gebe es Befrager, die sich «nicht korrekt» verhielten oder gar «ausflippten».
Wann soll sie einschreiten?
Die Dolmetscherin ist «mehr als irritiert» über das Verhalten gewisser Befrager. Zum Teil verhielten sich diese «wirklich schlimm». Die Dolmetscherin weiß, dass Erstbefragungen, in denen Beleidigungen und Beschimpfungen laut den Quellen besonders häufig auftreten, einen entscheidenden Einfluss auf das weitere Asylverfahren haben. Ihr Job als Dolmetscherin sei es, sich neutral zu verhalten, gerade so, als sei sie nicht anwesend. Und doch frage sie sich, ob sie in gewissen Situationen nicht einschreiten müsse.
Ähnlich äußern sich rund zehn Berufskolleginnen und -kollegen, die unter der Voraussetzung mit Tagesanzeiger.ch/Newsnet gesprochen haben, dass sie im Artikel anonym bleiben. Zu groß ist die Angst um ihren Job. Die Einsätze werden individuell und auf Auftragsbasis vereinbart. Zwar ist das Dolmetscher- vom Befragerwesen getrennt, doch werden in der Praxis viele Aufträge von den Befragern vergeben. Und wenn nicht, geben diese oft mindestens eine Präferenz ab, mit wem sie zusammenarbeiten wollen. «Wer sich beschwert, kriegt keine Aufträge mehr. So einfach ist das», sagt eine Quelle.




«Absolutes Stillschweigen»
Alle Dolmetscher mussten zudem kürzlich eine Vertraulichkeitserklärung des SEM unterschreiben. Gegenüber «unbefugten Dritten», heißt es im Schreiben, das Tagesanzeiger.ch/Newsnet vorliegt, seien sie zu «absolutem Stillschweigen» verpflichtet. Vertrauliche Informationen müssten «strikt geheim» gehalten werden und seien «ausschließlich im Rahmen seiner/ihrer Tätigkeit zu verwenden». Gemäß SEM musste die Geheimhaltungspflicht, die bereits im Vertrag der Dolmetscher festgehalten ist, konkretisiert werden, weil «moderne Technologien an diversen Standorten» eingesetzt werden. Die Dolmetscher haben eine weniger kryptische Erklärung: Seit der Veröffentlichung einer Undercover-Reportage in der «SonntagsZeitung» Ende Januar seien besonders in Kreuzlingen «alle nervös». Das SEM dementiert einen Zusammenhang. Zu den Vorwürfen hat das Amt eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben.
Dass die Dolmetscher reden, obwohl sie nicht dürfen, hat mit ihrem Unbehagen zu tun. «Die Befrager wollen Antworten erzwingen. Mit Druck», sagt ein Dolmetscher. «Das kann zu äußerst angespannten Situationen führen.» Angst habe er noch nie gehabt, aber «unwohl» sei ihm schon mehrfach gewesen. Noch schwieriger werden die sowieso schwierigen Gespräche, wenn die Befrager sich von Beginn weg keine Mühe geben, die Gesprächsatmosphäre angenehm zu gestalten. Zum Teil, sagt der Dolmetscher, würden sie den Asylsuchenden nicht einmal Wasser anbieten.
Eine Dolmetscherin sagt, sie erinnere sich an ein Gespräch, bei dem eine Befragerin einen Asylsuchenden derart angeschrien habe, dass sie befürchtete, er würde auf die Frau losgehen. «Er sagte, das Gespräch sei schlimmer als alles, was er in seiner Heimat erlebt habe», berichtet sie. Sie habe «Angst gehabt», passiert sei dann aber nichts. In einem anderen Fall erlebte eine Quelle nach eigenen Angaben, wie sich eine Befragerin vor den Augen eines Asylbewerbers die Nase zugehalten habe. «Da brauchte sie nicht mehr extra zu sagen, dass er stinkt», sagt sie. «Er merkte es von selbst.»
Manche verbergen ihre Wut nicht einmal
Sämtliche Dolmetscher betonen, der Großteil der Befrager verhalte sich korrekt. Doch die wenigen «schwarzen Schafe» seien «allen bekannt», und zwar «seit Jahren». Zum Teil würden die Befrager nicht einmal verbergen, dass sie in den Gesprächen wütend würden. «Selbst wenn einer sagt, er sei mal wieder ausgeflippt, wundert das niemanden.»
Gemäß Aussage verschiedener unabhängiger Quellen haben sich mehrere Dolmetscher geweigert, mit gewissen Befragern zusammenzuarbeiten. Auch das scheint niemanden zu wundern, im Gegenteil betonen mehrere Dolmetscher, sie könnten dies verstehen. Diese Befrager seien «gemein» und «unmenschlich». Im Falle einer Befragerin in Kreuzlingen haben dem Vernehmen nach mindestens drei Dolmetscher ihr Veto eingelegt – und seither nicht mehr mit dieser zusammengearbeitet. Dem SEM ist der Fall erstaunlicherweise nicht bekannt. Für Kritik gebe es «festgelegte Stellen und Instanzen, namentlich Vorgesetzte oder Hilfswerkvertreter», sagt Sprecherin Léa Wertheimer. «Wir sind, um die Qualität sichern zu können, darauf angewiesen, dass Kritik auch an den dafür vorgesehenen Stellen formuliert wird.»
«Ein menschliches Problem»
Auch den Hilfswerken und Rechtsvertretern sind die Probleme zu Ohren gekommen. «Wir hören immer wieder von Asylsuchenden, vor allem aus Kreuzlingen, dass sie unfreundlich behandelt werden», sagt Samuel Häberli vom Verein Freiplatzaktion Zürich, der Asyl¬suchende und Migranten berät. «Eine erhebliche Zahl von Leuten hat uns erzählt, ihnen sei im Gespräch regelrecht das Wort abgeschnitten worden. Man hat ihnen gesagt, sie sollen sich kurzfassen.» In der späteren Anhörung und im Asylentscheid sei ihnen dann aber vorgeworfen worden, sie hätten Informationen verschwiegen. Ein Rechtsvertreter, der anonym bleiben will, ergänzt: «Der Vorwurf der nachgeschobenen Aussagen wird vom SEM oft als Hauptargument gegen die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers ins Feld geführt.» Man sagt, er lüge – und spreche ihm somit gleich die ganze Glaubwürdigkeit ab.
«Das gibt den Befragern viel Spielraum»
Die größten Probleme gibt es laut Häberli bei den Erstbefragungen. Dabei handelt es sich um eine erste kurze Befragung zur Person. Im rund einstündigen Gespräch wird nach dem Reiseweg gefragt, den Asylgründen, der Sprache, der Identität, dem Alter oder nach früheren Aufenthaltsorten. Anwesend sind dabei nur drei Personen: der Befrager, der Asylsuchende sowie ein Dolmetscher. «Das gibt den Befragern viel Spielraum», sagt Häberli. Oder wie es eine Dolmetscherin ausgedrückt: «Sie können die Asyl¬suchenden behandeln, wie sie wollen. Niemand kann einschreiten.»
Die fehlende externe Kontrolle ist laut Häberli auch deshalb ein Problem, weil die Erstbefragungen nur stichwortartig und von den Befragern selbst protokolliert werden. Erst bei den späteren Anhörungen ist ein separater Wort-für-Wort-Protokollführer dabei. «Die Befrager sind in der Protokollierung der Erstbefragungen viel zu frei», sagt Häberli. Sie protokollierten auch nicht, wenn es im Gespräch zu Konflikten kam. In der Regel werde auch nicht aufgeschrieben, wenn die Asylbewerber emotional reagierten, sich beklagten oder weinten.
Hoffen, dass sich das Problem von selbst löst
Eine Quelle aus dem Umfeld der Hilfswerk- und Rechtsvertreter sagt: «Es ist kein Problem eines bestimmten Empfangszentrums. Sondern ein menschliches.» Zum Teil könnten sich die Befrager nicht einmal bei den Anhörungen beherrschen – obwohl dort auch Hilfswerk- und Rechtsvertreter zugegen seien. Laut David Ventura von der Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende der Region Basel stehen die Befrager unter großem Druck, die Kadenz der Gespräche sei hoch. Sie würden oft mit Unwahrheiten konfrontiert. «Das kann das unangemessene Verhalten der Befrager erklären, aber nicht entschuldigen.» Die Fachleute hoffen, dass sich das Problem bald von selbst löst: Die Asylrechtsrevision, die am 5. Juni zur Abstimmung kommt, sieht von Beginn weg eine unentgeltliche Rechtsvertretung vor. Sie wäre auch bei den Erstbefragungen dabei. Überhaupt betonen die Quellen, die Befragungen im derzeitigen Testbetrieb in Zürich liefen fast immer «fair» und «korrekt» ab – wohl auch wegen der stets zusätzlich anwesenden Personen.
Das SEM führt nach eigenen Angaben keine Statistik über Anzahl oder Art der Beschwerden gegen Befrager. Eine Zunahme im Zusammenhang mit den hohen Asylzahlen im Sommer und Herbst 2015 habe man nicht festgestellt. Ob es schon zu Rügen oder Entlassungen gekommen ist, beantwortet das SEM nicht. «Generell gilt: Wenn ein nicht professionelles Verhalten oder eine unangemessene Haltung festgestellt wird, können disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden», sagt Sprecherin Léa Wertheimer. Diese könnten bis zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehen. Lägen Informationen zu kritischen Vorfällen vor, würden diese «unverzüglich gründlich und sorgfältig abgeklärt». Ein Verhalten, das dem Rechtsrahmen und dem Berufsethos widerspreche oder das einen Mangel an Respekt gegenüber den betroffenen Personen zeige, werde «keinesfalls toleriert».

Simone Rau
http://mobile2.tagesanzeiger.ch/articles/573a2c3fab5c376fdf000001

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Datum: 24.05.2016 - 16:40 Uhr
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