PresseKat - BERLINER MORGENPOST: Ein Jahr, das uns in die Pflicht nimmt - Leitartikel

BERLINER MORGENPOST: Ein Jahr, das uns in die Pflicht nimmt - Leitartikel

ID: 322244

(ots) - Bisher war es ja immer so, dass das nächste Jahr
schon irgendwann im November begann. Da fischte man einen
schmucklosen Recycling-Umschlag aus dem Briefkasten. Darin lag dann
die neue Lohnsteuerkarte. Man war also ganz gut vorbereitet, konnte
sich rechtzeitig überlegen, was man mitnehmen wollte in die neue
Zeit. Und was man lieber zurückließ in der alten. Rückblicke,
Vorsätze. Die gute alte, nüchtern-grußlose Post vom Amt verschaffte
einen gewissen Spielraum. Insofern trifft uns der heutige Tag schon
ein bisschen überraschend. 2011 wird das erste Jahr ohne
Lohnsteuerkarte. Machen wir was draus. Ãœberlegen wir nicht lange und
verknotet, was gut war und was schlecht, sondern nehmen den
winterkalten Wechsel gleich von vorn und machen es besser als
zuletzt. Grüßen den Nachbarn wieder, räumen den Gehweg auch in der
fünften Schneewoche ohne langes Murren und verbringen eine Stunde
mehr bei Oma oder bei der alten Tante Klara, die sich immer so freut,
wenn mal einer vorbeischaut. Und die das trotzdem gar nicht zeigen
kann, weil die Jahre so gezehrt und gezerrt haben an den Nerven, am
Gemüt. Es lohnt womöglich gerade deshalb, ihr zuzuhören, etwas zu
lernen aus dem Vergangenen und etwas mitzunehmen in die Zukunft. Denn
bei aller Nörgelei: Was Oma und Tante, was Opa und Onkel zustande
gebracht haben in ihrer Lebensarbeitszeit, das ist ab und zu einen
Umweg wert auf dem Weg in den Feierabend oder ins Wochenende. Die
Alten, die Rentner von heute, haben schließlich was vorzuweisen: Sie
sind die erfolgreichste Generation, die dieses Land je hervorgebracht
hat. Wirtschaftswunder, Wachstum, Wohlstand. Und ihr größtes
Verdienst: Deutschland nicht wieder in einen Krieg, sondern zurück
zur Einheit geführt zu haben. In Freiheit, ohne Blut zu vergießen.
Das war ja so nicht abzusehen vor jetzt bald 50 Jahren, beim




Mauerbau. Man sollte das also bedenken im neuen Jahr, wenn man mal
wieder über die Versäumnisse der zurückliegenden Jahrzehnte klagt,
über Schuldenberge, Umweltsünden und Gesundheitskosten. Deutschland
als ganz normales und hoch angesehenes Mitglied der
Völkergemeinschaft - das war eben kein Selbstläufer, das war eine
Glanzleistung. Wir, die Generation, die jetzt in der Verantwortung
steht, müssen uns erst noch beweisen. Die zentrale Herausforderung
kennen wir inzwischen. Die europäische ist im Gegensatz zur deutschen
Einheit immer noch ein äußerst wackliges Projekt. Die aktuelle
Debatte um den Euro, unser Hang zur Abgrenzung und der latente Mangel
an Demut und Verantwortungsbewusstsein - nicht nur in Deutschland -
sind Zeichen dieser unangenehmen, letztlich gefährlichen politischen
Labilität. Deshalb ist jeder Cent und jede Mühe, die in die
europäische Einigung fließen, ein Investment in die Zukunft unserer
Kinder, ein wertes Gegenstück zur Verschuldung der Gegenwart, die ja
zu Lasten der folgenden Generationen geht. 2011 muss deshalb ein
europäisches Jahr werden, eines, in dem aus der wunderbaren Vielfalt
dieses Kontinents wieder gemeinsame Stärke destilliert werden kann.
Wir brauchen diese Kraft, gerade in einem globalen Umfeld, das
ökonomisch und kulturell auch in Zukunft nicht durchweg einen zivilen
Umgang miteinander pflegen wird. Wir, hier in Deutschland erst recht,
sind in der Pflicht.



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Datum: 30.12.2010 - 20:01 Uhr
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