PresseKat - Massenmedien und Meinungsforschung – Elisabeth Noelle erinnert sich

Massenmedien und Meinungsforschung – Elisabeth Noelle erinnert sich

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(firmenpresse) - Von Philip Plickert

Bonn - „Ich hatte mir schon als Kind vorgenommen, dass ich mich in meinem Leben nicht langweilen wollte, und es war weiß Gott alles andere als ein langweiliges Leben.“ Elisabeth Noelle-Neumann gilt als Nestorin der Demoskopie in Deutschland. Als Leiterin des Allensbacher Instituts hat die Journalistin und Meinungsforscherin, von einem unstillbaren Durst nach empirischer Erkenntnis getrieben, dem Wechsel des Zeitgeists nachgespürt. Sie hat Stimmungen aufgefangen und analysiert, die Politik beraten und die Medien kritisch beobachtet. Früher als andere hat Noelle-Neumann die Macht der Massenmedien, besonders des Fernsehens, erkannt und den möglichen Missbrauch dieser Macht angeprangert. Bis heute bedeutend bleibt ihre Entdeckung, wie soziale Kontrolle durch medial fabrizierte „öffentliche Meinung“ funktioniert, die in die „Schweigespirale“, so der Titel ihres berühmtesten Buchs, münden kann.

Geboren 1916 in eine großbürgerliche Familie in Berlin, die in der Inflation fast alles verlor, war Elisabeth Noelle ein kränkliches Kind, doch mit hoher intellektueller Begabung. Früh beschloss sie, Journalistin zu werden, an der Schule zeigte sie wenig Interesse. Schließlich steckten sie die Eltern ins Internat Salem. Dessen Leiter Kurt Hager warnte eindringlich vor den Nationalsozialisten – bald nach deren Machtergreifung wurde er verhaftet und musste emigrieren. Später machte Elisabeth Noelle bei einem Ausflug zum Obersalzberg durch Zufall persönliche Bekanntschaft mit Hitler. Bei Tee und Kuchen fiel der Gruppe junger Frauen das Dämonische nicht auf: „Es gab keine Warnung, kein für mich erkennbares Zeichen, dass ich einem Mann gegenüberstand, der im Begriff war, Deutschland und die halbe Welt ins Unglück zu stoßen.“

Ab dem Wintersemester 1935/1936 begann Elisabeth Noelle in Berlin ein Studium der Zeitungswissenschaft bei dem bekannten Professor Emil Dovifat. So sehr sie ihn schätzte, erkannte sie doch später, wie wenig sein historisch-ethischer Ansatz der Medienforschung in die Tiefe ging. Es fehlte die Empirie, der kritische Blick auf die tatsächliche Wirkung massenmedialer Kommunikation. Als frühen Meister der empirischen Sozialforschung sah sie später Paul Lazarsfeld an. Einige Semester blieb sie in Berlin, betrieb das Studium jedoch recht nachlässig. Es folgten kurze Abstecher nach Königsberg und München, bis sie im Herbst 1937 mit einem Stipendium für ein Jahr nach Amerika, an eine renommierte Journalistenschule in Columbia, wechseln konnte.





Dieser Austausch sollte ihr ganzes Leben in eine neue Richtung lenken. Obwohl Amerika ihr eher fremd blieb, machte sie dort eine für sie äußerst wichtige Entdeckung: die Technik der repräsentativen Stichprobenumfragen, von Pionieren wie George Gallup für Wahlprognosen genutzt. Vom unbändigen Willen, selbstständig zu sein und zu entdecken, zeugte die mehrmonatige Reise quer durch Asien, welche die erst 22-jährige Elisabeth Noelle nach ihrem Amerika-Studienaufenthalt unternahm. Zurückgekehrt nach Berlin, verfasste sie in Rekordzeit eine Dissertation zu den neuen amerikanischen Methoden der Meinungsbefragung, die in Europa noch gänzlich unbekannt waren. Dann begann sie als Journalistin zu arbeiten. Nach einem Volontariat bei der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ kam sie zur Wochenzeitung „Das Reich“, wo sie ihren späteren Ehemann, Peter Neumann, einen ehemals kommunistischen Journalisten, kennen lernte. Beim „Reich“, einem gehobenen Blatt, wurde ihr gekündigt, nachdem sie eigenmächtig ein tendenziöses Foto des amerikanischen Präsidenten Roosevelt gegen ein vorteilhafteres getauscht hatte. Danach fand sie Unterschlupf bei der „Frankfurter Zeitung“, dem letzten liberalen, nicht gleichgeschalteten Blatt in NS-Deutschland.

Die Kapitel, die ihre Erlebnisse im Dritten Reich schildern, gehören zu den dichtesten und spannendsten Seiten ihrer Memoiren. Immer wieder wurde versucht, ihr eine Nähe zum NS-Regime anzudichten. Elisabeth Noelle beschreibt, wie etwa Lea Rosh später die Zeitungsarchive nach kompromittierenden Formulierungen durchstöbern ließ. Die engagierte Suche blieb erfolglos. 1942 hatte sich auch Joseph Goebbels für ihre journalistischen Arbeiten interessiert. Mehrfach gab es Probleme mit der Zensur, die etwa einen Artikel über zwangsverpflichtete österreichische Arbeiterinnen rügte. Überraschend machte der Propagandaminister jedoch dann der Expertin für amerikanische Meinungsforschung das Angebot, seine Adjutantin zu werden. Durch eine mehrmonatige Erkrankung zog sie sich aus der Affäre.

Nach dem Krieg machte sie am Bodensee 1947 in einer Garage ein kleines Meinungsforschungsbüro auf, das sich bald zur führenden Institution dieser Art in Deutschland entwickelte. Die Bundesregierung forderte regelmäßig Stimmungsbilder aus Allensbach an, Kanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Erhard ließen sich persönlich beraten, später auch Helmut Kohl. Neben ihren journalistischen Kenntnissen und dem demoskopischen Gespür bewies sie dabei erstaunliches Unternehmertalent. Als eher bürgerlich-konservative Professorin in Mainz zog sie sich den Hass der nach 1968 tonangebenden Linken zu – entsprechend bissig liest sich ihre Abrechnung mit der Frankfurter Schule und besonders deren Kopf Adorno. Was sie an Anfeindungen (bis hin zu einem Bombenanschlag auf das Büro ihres Mitarbeiters Hans Mathias Kepplinger) erlebte, vermutet sie zum Teil von der DDR gesteuert.

International hat sich die Meinungsforscherin mit ihrer Entdeckung der „Schweigespirale“ einen Namen gemacht. Wie gesteuerte soziale Kontrolle funktionierte, hatte sie bereits im totalitären NS-System erleben können. Aber auch unter demokratischen Bedingungen, so erkannte Noelle-Neumann, scheuen die meisten, sich mit unerwünschten Meinungen zu exponieren. Menschen fürchten geistige Isolation. Daher beobachten sie ihre Umwelt, sie registrieren Zustimmung oder Ablehnung. Die öffentlich (scheinbar) vorherrschende Meinung, wie sie die Massenmedien prägen, übt Druck aus. Schließlich verstummen jene, die abweichende Ansichten haben. „Im Extremfall“, so Noelle-Neumann, „führt dann die Schweigespirale dazu, dass man über ein bestimmtes Thema nur mit einer bestimmten Wortwahl (Political Correctness) oder überhaupt nicht (Tabu) sprechen kann, wenn man nicht mit äußerst scharfen Signalen der gesellschaftlichen Ausgrenzung konfrontiert werden will.“

Sie selbst hat sich als Meinungsforscherin durch jahrelange Kampagnen nicht einschüchtern lassen. Noelle-Neumann zieht eine positive Bilanz ihres Lebens. Das 21. Jahrhundert, meint sie, werde bei einer weiteren Verfeinerung der Techniken und Theorien der Meinungsforschung ganz in deren Zeichen stehen.

Elisabeth Noelle-Neumann: Die Erinnerungen. Herbig Verlag: München 2006, 319 Seiten, 24,90 Euro.



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Datum: 31.01.2007 - 11:03 Uhr
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