(ots) - Es ist schon merkwürdig: Zwar ist Thilo Sarrazin
Mitglied der SPD und will es auch bleiben. Die Debatte aber, die der
Noch-Bundesbankvorstand um das Thema Integration und vor allem um die
Versäumnisse der Parteien diesbezüglich ausgelöst hat, ist längst ins
Unionslager übergeschwappt. Und spätestens seit dem Streit um die
Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach wird diskutiert, ob eine neue
Partei rechts von der Union nicht enormes Potenzial hätte. Steinbach
selbst, die der CDU/CSU »mangelndes konservatives Profil« vorwirft,
ist überzeugt davon. Es fehle einzig und allein eine prominente,
charismatische Führungspersönlichkeit. Umfragen zufolge gibt es ein
erhebliches Potential - satte 18 Prozent hat Emnid für eine
Sarrazin-Partei ermittelt. Das Problem: Weder Sarrazin will eine
Rechtspartei gründen noch Steinbach. Anders als der Berliner
Parlamentarier und frühere CDU-Politiker René Stadtkewitz, der am
Freitag eine Neugründung unter dem Namen »Die Freiheit« angekündigt
hat. Dumm nur, dass sein Auftritt im Hinterzimmer einer Berliner
Pizzeria so gar nichts Charismatisches hatte. Ãœberhaupt muss man die
Diskussion als die Jagd nach einem Phantom bezeichnen. Nicht ohne
Grund gibt es keinen ernstzunehmenden Politiker aus dem
»konservativen« Lager, keinen Roland Koch und schon gar keinen
Friedrich Merz, der rechts von der Union stehen will. Wer nämlich
dort steht, gerät schnell in die Gefahr, rechtsaußen zu stehen. Auch
das beweist das Beispiel Sarrazins, der alle Mühe hat, nicht von der
rechtsextremen NPD vereinnahmt zu werden. Und was soll das
Konservative eigentlich sein, dessen vermeintliches Fehlen so
lauthals beklagt wird? An der Integrationspolitik mag es viel zu
kritisieren geben, wenn aber der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel den
Begriff Leitkultur benutzt, zeigt das, wie »konservativ« der Diskurs
- zum Glück - inzwischen geführt wird. Und auf anderen
Themenfeldern? Beispiel Energiepolitik: Was ist »konservativer« als
das Festhalten an der Kernkraft? Beispiel Stuttgart 21: Was ist
»konservativer« als eine Infrastrukturpolitik, die wirtschaftliche
Interessen nicht per se ökologischen Interessen unterordnet?
Schließlich das Beispiel CSU: Wer ist »konservativer« als die
Seehofer-Partei? Eine Erfolgsgarantie war das zuletzt nicht. Keine
Frage: Viele Bürger sind unzufrieden, flüchten in den Protest oder
wenden sich von der Union ab. Einen Bedarf nach einer »konservativen«
Partei aber gibt es deshalb noch nicht. Eine Absplitterung nach
rechts würde der Union dennoch schaden: Die CDU/CSU ist nicht in der
Situation, auch nur auf eine Wählerstimme verzichten zu können.
Gleichwohl stellt sich für die Union nicht die Frage, ob sie mit
einem konservativeren Kurs erfolgreicher sein könnte. Für die Union
stellt sich zuerst die Frage, wie sie das Konservative in ihrem Kurs
selbstbewusst vertritt und überzeugend erklärt. Das ist ihr größtes
Manko, und das lässt die Realität so bitter erscheinen.
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