PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: Die gespaltene Walhalla / Im 175. Jahr ist es Zeit, den Bau als Geschichte

Mittelbayerische Zeitung: Die gespaltene Walhalla / Im 175. Jahr ist es Zeit, den Bau als Geschichte anzuerkennen. Nur dann entfaltet er sein Potenzial. Leitartikel von Katharina Kellner

ID: 1541092

(ots) - Ganze 175 Jahre steht die Walhalla nun auf dem
Bräuberg über Donaustauf. An diesem Wochenende wird das Jubiläum mit
Feuerwerk und Drei-Gänge-Menü gefeiert. Richtig ins Jubeln geraten
wird wegen der Walhalla aber kaum jemand. Das hat einen Grund: Sie
steht heute noch genauso da, wie König Ludwig I. sie bauen und
einrichten ließ. Damit ist sie offensichtlich aus der Zeit gefallen.
Mit Ludwigs I. in Stein gemeißelter Abneigung gegen Frankreich und
seiner Überhöhung von Germanentum und "teutscher Zunge" kann die
Mehrheit heute zum Glück nichts mehr anfangen. Die "Ruhmeshalle" hat
uns heute nur noch etwas zu sagen, wenn wir merken, wie fremd sie uns
geworden ist. Sie ist in einer demokratischen Gesellschaft ein
Relikt. Deshalb muss die Walhalla endlich von offizieller Seite zu
dem erklärt werden, was sie längst ist: Geschichte. Die Walhalla hat
Potenzial. Doch so wie sie dasteht, kann sie es nicht entfalten. Das
Bauwerk ist quasi gespalten: Anziehend draußen, aber nicht im
Inneren. Rund 200 000 Besucher kommen pro Jahr. Mindestens die Hälfte
geht gar nicht hinein: Sie wandert bei schönem Wetter hinauf, genießt
die Aussicht über das Donautal, staunt über Klenzes griechischen
Tempel, der sich in bayerischer Landschaft seltsam und zugleich
grandios ausmacht. Draußen vor der Tür ist die Walhalla ein
kommunikativer Ort. Doch wer drinnen die Reihen der Büsten abwandert,
bekommt keine Antworten. Wer nicht zufällig eine Broschüre gekauft
hat, fragt sich vergeblich, wer Michiel de Ruyter oder Herman
Boerhaave waren. Nur Jugendliche auf Schulausflug haben keine Wahl.
Doch was sollen sie dort drin anziehend finden? Ludwigs I.
Heldengalerie ist voller Gruselfiguren: Krieger wie Scharnhorst,
Blücher oder Radetzky, Antisemiten wie Richard Wagner und Turnvater
Jahn. Und wie soll eine Halle, in der das Verhältnis von geehrten




Frauen zu Männern 1:15 ist, eine moderne Gesellschaft repräsentieren,
die sich Gleichstellung in die Verfassung geschrieben hat? Der König
zielte auf eine Identifikation mit den Großen der "teutschen Zunge".
Auch das hat die Wirklichkeit getilgt: Suchte das Deutschland des
Jahres 2017 den Walhalla-Star, gäbe es wohl "Likes" für Barack Obama,
Papst Franziskus oder moderne "Helden" wie Malala Yousafzai. Das
Engagement der Kinderrechtsaktivistin und Nobelpreisträgerin ist
emanzipatorisch und zukunftsgerichtet, es dient Menschen im Hier und
Heute. Doch auch Yousafzai könnte die Walhalla nicht retten. Das kann
nicht einmal die einzige Figur mit unbestreitbarem
Identifikationspotential dort drinnen: Sophie Scholl. Die Aufstellung
ihrer Büste 2003 war ein Bekenntnis zur Demokratie am einstigen
Aufmarschort der Nazis. Doch es macht heute keinen Sinn, König
Ludwigs I. Konzept durch Nachnominierungen in die Gegenwart zu holen.
Das Aufstellen von Büsten ist rückwärtsgewandt. Es ein falsches
Signal, wenn ein demokratisch verfasster Staat wie der Freistaat
Bayern in Stein gehauene "Helden" aufstellen lässt, die bereits 20
Jahre tot sein müssen. Ludwigs Konzept der Walhalla wurde einst von
Zeitgenossen aus ganz Europa kommentiert. Breite Aufmerksamkeit kann
aber heute nur bekommen, wer dieses Konzept als etwas Vergangenes
anerkennt und nicht nur Köpfe aneinanderreiht, sondern die
zeitgeschichtlichen Hintergründe ihrer Aufstellung ausdeutet.
Wissenswert ist zum Beispiel, wie effektiv die Nazis die Aufstellung
der Büste des Komponisten Bruckner 1937 für ihren Plan nutzten, den
"Anschluss" Österreichs voranzutreiben. Mit einem zeitgemäßen
Ausstellungskonzept könnte die Walhalla viel mehr erzählen als nur
von Biographien. Sie hat Potenzial als Dokument eines vergangenen
Herrschaftsverständnisses. Der Bau regt zur Diskussion an über die
eigene Identität: Was unterscheidet heutige Vorbilder von Ludwigs I.
Heldengalerie? Und was sagt das über unsere Gesellschaft? Beim 200.
Jubiläum könnte die Walhalla längst ein geeigneter Ort sein, um über
Demokratie ins Gespräch zu kommen.



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Datum: 16.10.2017 - 20:15 Uhr
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