PresseKat - Steinmeier in Kolumbien: Außenminister muss Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen

Steinmeier in Kolumbien: Außenminister muss Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen

ID: 1444263

(ots) - Anlässlich des Besuches von Frank-Walter Steinmeier
in Kolumbien fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) den Außenminister
auf, die Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen. Die im
Friedensabkommen vereinbarten Regelungen zum Schutz der
Pressefreiheit müssen sofort umgesetzt und auf weitere illegale
Gruppen ausgeweitet werden. Seit Inkrafttreten des Abkommens hatten
zuletzt Drohungen und Schikane gegen Journalisten insbesondere von
Seiten paramilitärischer Gruppen zugenommen. Diese Gruppen sind nicht
am Friedensprozess beteiligt.

"Während die Weltöffentlichkeit sich vor allem auf den
Friedensprozess mit den FARC konzentriert, werden Journalisten
insbesondere von paramilitärischen Gruppen vermehrt bedroht", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Drohungen gegen Journalisten
müssen ernstgenommen werden, um die anhaltende Selbstzensur zu
bekämpfen. Wir fordern die kolumbianische Regierung auf, den
Friedensprozess auf die übrigen illegalen Gruppierungen auszuweiten,
um einen umfassenden Schutz für Journalisten zu gewährleisten."

In den vergangenen Monaten verübten paramilitärische Gruppierungen
vermehrt Anschläge auf Menschenrechtsaktivisten
(http://t1p.de/4ti8). Riskant ist dieser Anstieg auch für
Journalisten: Der Kolumbianische Journalistenverband und
ROG-Partnerorganisation FECOLPER (Federación Colombiana de
periodistas) beobachtet vermehrte Drohungen gegen Journalisten, die
zu Angriffen auf Aktivisten berichten und diese interviewen. So
musste ein Journalist kürzlich die Region Catatumbo verlassen und
untertauchen: Er hatte über die Ermordung mehrerer Führer von
Bauernorganisationen berichtet und wurde anschließend massiv bedroht
und verfolgt.

VERMEHRT DROHUNGEN GEGEN JOURNALISTEN

Neben der Berichterstattung über Anschläge existieren noch weitere




Themen, die riskant für Journalisten sind. So sah sich das
unabhängige Nachrichtenportal Onda Opita gezwungen, seine Webseite
nach Morddrohungen zu schließen. Die Seite hatte in einem Artikel
beschrieben, dass der Bürgermeister der Stadt Neiva Stadträte
bestochen haben soll. Daraufhin rief dieser auf seiner privaten
Facebookseite zu Ãœbergriffen auf das Portal auf (http://t1p.de/t9sy).
Auch die Journalistin Lucy Flórez erhielt Todesdrohungen, nachdem sie
über eine kranke Abgeordnete berichtet hatte (http://t1p.de/coij).

Zudem entschied der Oberste Gerichtshof von Bogotá im Dezember in
dritter Instanz, die Anschuldigungen wegen illegaler Ãœberwachung von
Journalisten gegen den Ex-Geheimdienstmitarbeiter José Miguel Narváez
fallenzulassen. Damit hebt der Gerichtshof das Urteil gegen Narváez
auf, der in erster und zweiter Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt
worden war. Eine Begründung lieferten die Richter bislang nicht
(http://t1p.de/xx5g).

SELBSTZENSUR GRÖSSTE GEFAHR FÜR DIE PRESSEFREIHEIT

Journalisten sind auch weiterhin willkürlicher Schikane von
Staatsvertretern ausgesetzt. So hielt etwa die Militärpolizei
Pressevertreter im Vorfeld einer Pressekonferenz auf der Insel San
Andrés nachts an einem Flughafen grundlos fest (http://t1p.de/huum).
Sie durchsuchten mehrere Journalisten stundenlang und verweigerten
ihnen den Besuch der Toilette sowie den Zugang zu Nahrungsmitteln und
Getränken. Die Schikanen gingen soweit, dass die Pressevertreter
schließlich gemeinsam entschieden, die Reise abzusagen.

Aber das größte Problem ist nach wie vor die weit verbreitete
Selbstzensur. So wurde nun zwar ein Abkommen mit den FARC-Rebellen
geschlossen - die zweitgrößte Guerilla ELN agiert jedoch weiter
insbesondere in den ländlichen Regionen. ELN-Kämpfer hatten so unter
anderem im Mai drei Journalisten entführt (http://t1p.de/7e5z). Die
Friedensgespräche zwischen der ELN und der kolumbianischen Regierung
waren zuletzt von blutigen Anschlägen der Rebellen überschattet und
zeitweise ausgesetzt worden (http://t1p.de/4txv).

Die größte Gefahr geht weiterhin von paramilitärischen Verbänden
aus. Nun, da mit der Demobilisierung der FARC in den ländlichen
Regionen gewissermaßen ein Gegengewicht entfällt, befürchtet FECOLPER
einen weiteren Anstieg der Drohungen gegen Journalisten. Um der
Selbstzensur entgegen zu treten, gründeten Journalisten und Vertreter
der Zivilbevölkerung Ende 2016 die "Liga gegen das Schweigen"
(http://t1p.de/wwbp).

Ein weiteres Problem sieht FECOLPER in dem fehlenden Vertrauen in
den Staat. Aufgrund der verbreiteten Straflosigkeit würden
Journalisten Drohungen gegen sie oft nicht öffentlich machen. Aktuell
jährt sich etwa der Mord an Guillermo Cano, Chefredakteur der
Tageszeitung El Espectador, welcher seit 30 Jahren straflos ist
(http://t1p.de/yp0h). Auch die Angeklagten im Mordfall der
Journalistin Flor Alba Nuñez, die 2015 in der südlichen Stadt
Pitalito erschossen wurde, werden laut FECOLPER demnächst vermutlich
aus Mangel an Beweisen aus der Haft entlassen.

Selbst das staatliche Schutzprogramm für bedrohte Journalisten
bietet keine Garantie für Pressefreiheit. So standen die
Personenschützer zuletzt im Verdacht, die von ihnen begleiteten
Journalisten zu überwachen und bedrohen (http://t1p.de/m4m5). Das
nationale Komitee der Journalisten, die Opfer des Konfliktes wurden,
forderte die Regierung im Dezember 2016 mit einem Ultimatum auf, den
Schutz und die Entschädigung von betroffenen Journalisten zu
garantieren (http://t1p.de/wsvj).

UMSETZUNG DES FRIEDENSPROZESSES ZULETZT VERZÖGERT

Anfang Oktober war die erste Version des Friedensabkommens in
einem Referendum mit knapper Mehrheit von 50,21Prozent abgelehnt
worden (http://t1p.de/hf1q). Eine überarbeitete Version, die auch die
Kritik der oppositionellen Gruppen berücksichtigte, wurde am 30.
November vom Parlament verabschiedet (http://t1p.de/vwd2). Am 13.
Dezember beschloss das Verfassungsgericht daraufhin
Sondervollmachten, die die Umsetzung des Friedensvertrages - ohne
weiteres Referendum - in sechs Monaten statt regulär zwei Jahren
ermöglichen (http://t1p.de/jnxt). Damit begann die offizielle
Umsetzung des neuen Abkommens. Analog zu den Plänen der Regierung
sollten FARC-Kämpfer bereits Mitte Dezember in 20
Demobilisierungszonen umziehen. In diesen isolierten Camps sollen die
Rebellen über einen Zeitraum von sechs Monaten entwaffnet und ihre
Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden.
Allerdings verzögerte sich die Umsetzung der Pläne, wodurch die Zonen
wohl erst im Februar bereit sein werden (http://t1p.de/brgi).

Das Referendum war unter anderem an falschen Befürchtungen
gescheitert, die das oppositionelle Lager unter Ex-Präsident Alvaro
Uribe verbreitet hatte (http://t1p.de/fybm). In den folgenden Wochen
nahmen Ãœbergriffe und Drohungen gegen Journalisten und
Menschenrechtsaktivisten konstant zu. Organisationen wie die NGO
Somos Defensores sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der
Ablehnung des Abkommens und dieser Häufung: Wer sich im Vorfeld des
Referendums für die Ergebnisse des Friedensprozesses aussprach, wurde
von oppositionellen Gruppen als "Fürsprecher" der FARC betrachtet.
Das Wahlergebnis stärkte somit Kritikern der FARC den Rücken
(http://t1p.de/atcv).

MEDIENKONZENTRATION BEHINDERT PRESSEFREIHEIT

Ein weiteres Hindernis für die Pressefreiheit in Kolumbien ist die
starke Besitzkonzentration der Medien, die Interessenkonflikte und
Selbstzensur begünstigt und die Meinungsvielfalt behindert: Drei
Konzerne kontrollieren durch eine Vielzahl von Publikationen und
Sendern 57 Prozent des Markts für Printmedien, Fernsehen und Radio
(http://t1p.de/vgss). Unter den überregionalen Medien entfallen zwei
Drittel der Leser auf nur vier Zeitungen. Die beiden größten
Fernsehsender machen mehr als zwei Drittel des TV-Markts unter sich
aus und erwirtschaften rund 78 Prozent der gesamten
TV-Werbeeinnahmen. Dies zeigen die Ergebnisse des Projekts Media
Ownership Monitor, die ROG und FECOLPER im Herbst 2015 vorstellten
(http://t1p.de/n7vu).

Kolumbien ist für Journalisten nach Mexiko weiterhin das
gefährlichste Land des amerikanischen Kontinents. Allein seit dem
Jahr 2000 wurden rund 60 Journalisten ermordet (http://t1p.de/b6zq).
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 134
von 180 Staaten (http://t1p.de/ro6x). Weitere Informationen zur Lage
der Pressefreiheit in Kolumbien finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer/ Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

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